Ende. Und jetzt? – Wie du mit der Überarbeitung startest

Ganz egal, wie erfahren du als Autorin oder als Autor schon bist oder wo im Schreibprozess du gerade steckst – wir nehmen jetzt einfach mal an, dass du gerade eben erst das Wort „Ende“ unter deine Rohfassung gesetzt und deinen Laptop zugeklappt oder deinen Rechner heruntergefahren hast.

Dein erster Draft ist also ganz frisch fertig, du bist gerade voller Euphorie, es endlich geschafft zu haben und so voller Elan, dass du direkt den nächsten Schritt gehen möchtest. Aber was ist denn dieser nächste Schritt? Fängst du an zu überarbeiten? Schickst du es deinen Testlesenden? Oder schreibst du direkt ein Exposé und bewirbst dich bei einer Agentur oder bei einem Verlag?

Die Antwort auf alle diese drei Möglichkeiten ist ganz klar: Nein. Zuallererst nimmst du dir jetzt erst einmal eine Pause von dieser Geschichte. Am besten einen ganzen Monat. Wenn das nicht drin ist, dann zumindest eine Woche, in der du dich mit möglichst vielen anderen Dingen beschäftigst, die dich auf bestmögliche Weise von deiner Geschichte ablenken und sie aus deinem Kopf verdrängen.

Kleiner Hinweis am Rande: Dieser Blog ist die schriftliche Variante des „Schreiben mit Stil“-Podcasts. Wenn du dir die Tipps also lieber anhören möchtest – hier kommst du zur entsprechenden Episode:

Step 1: Nur lesen

Denn erster Überarbeitungs-Step sollte sein, dass du dein gesamtes Manuskript einmal am Stück durchliest. Und zwar ohne daran herumzufeilen, also ohne auch nur einen einzigen Buchstabendreher oder Kommafehler auszubessern. Das ist wichtig, weil du deine Geschichte beim ersten Lesen so erleben solltest, als wärst du eine*r deiner Leser*innen, die die Geschichte zum ersten Mal erleben. Nur so kannst du direkt abschätzen, ob deine Geschichte dich als Leser*in catcht, an welchen Szenen dein Lesefluss hakt und wo du dir denkst: „Nein, das funktioniert so nicht.“

Wenn dir beim Lesen Dinge auffallen, die du ändern möchtest – und es werden dir ganz sicher Dinge auffallen, die du ändern möchtest – dann halte sie dir natürlich unbedingt fest. Nur eben nicht im Manuskript, sondern in einer Notizen-App, auf einer eigenen Seite in deinem Schreibprogramm, in einem haptischen Notizbuch – was auch immer für dich funktioniert.

Nach dem Lesen wirst du eine lange, lange Liste an Ideen und Notizen haben – und dann ist es erst einmal nötig, Ordnung ins Notizen-Chaos zu bringen.

Was willst du mit dem Schreiben dieser Geschichte erreichen?

Damit meine ich ganz einfach: Planst du, dich bei einer Agentur oder einem Verlag zu bewerben – oder willst du deine Geschichte im Selfpublishing veröffentlichen? Oder schwebt dir etwas ganz anderes vor, spielst du zum Beispiel mit dem Gedanken, mit einem Blog-Roman neue Leser*innen zu gewinnen?

Es kommt auf dein Ziel an, um abschätzen zu können, ob dein nächstes Schreibprojekt dafür geeignet ist. Zieh im Zweifelsfall die Idee vor, die dich deinem kurzfristigen Ziel näherbringt. Behalte aber auch deine großen Ziele im Blick, also was du dir auf lange Sicht für dein Autor*innenleben wünschst. Passen deine kurzfristigen Ziele dazu? Und kannst du mit deiner Entscheidung für oder gegen eine Geschichte jetzt schon einen Schritt auf dieses große, übergeordnete Ziel zu gehen?

Wenn du zum Beispiel eine Geschichte im Kopf hast, in der du großes Erfolgspotenzial siehst, aber du siehst dich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage, sie so zu Papier zu bringen, wie du es müsstest, stell sie besser zurück, lerne als Autor*in erst noch mit einem anderen Projekt dazu und lass diese Idee noch etwas reifen.

Step 2: Sichte und sortiere deine Notizen

Der zweite Step der Überarbeitung ist also, dass du alle deine Notizen durchgehst. Dabei merkst du bestimmt, dass einige der Ideen, die du dir notiert hast, mit der weiteren Entwicklung der Geschichte gar nicht funktionieren. Oder dass du manches so vage formuliert hast, dass du nicht mehr weißt, was du damit gemeint hast. Diese Notizen kannst du vom Fleck weg streichen.

Die restlichen Ideen und Notizen solltest du dann sortieren. Und hier kommen wir zu den einzelnen Drafts bzw. zu den Überarbeitungsschritten auf vier Ebenen, von denen du hier vielleicht schon auf meinem Instagram-Account gelesen hast.

Die 4 Überarbeitungsebenen

Ich empfehle dir, deine Geschichte in vier Schritten zu überarbeiten und in jedem dieser Schritte den Fokus auf einen anderen Aspekt der Geschichte zu legen – von groß nach klein. Diese 4 Steps sind:

1) Überarbeitung auf Story-Ebene

2) Überarbeitung auf Szenen-Ebene

3) Überarbeitung auf Seiten-Ebene

4) Überarbeitung auf Satz-Ebene

Soweit zumindest die Theorie. Es kann in der Praxis gut sein, dass du 3 oder mehr Schleifen auf der Story-Ebene drehst, bis der Spannungsbogen nicht mehr durchhängt und die Charakterentwicklung passt. Es kann auch sein, dass du währenddessen hier und da schon ein Wort austauschst, einen Satz umschreibst oder Kommas ausbesserst, was eigentlich erst zur Satz-Ebene zählt.

ABER es sollte bei dieser Reihenfolge bleiben, damit du dir die Feinarbeit nach unten nicht doppelt machst. Denn was bringt es dir, eine Szene schon in der Textkosmetik schönzumachen, wenn sie später an einer ganz anderen Stelle im Manuskript steht und du die Zusammenhänge umschreiben musst – oder wenn du eine Szene streichst und stattdessen eine ganz neue schreibst? Eben, das ergibt wenig Sinn. Stattdessen konzentrierst du dich also besser auf:

Step 3: Die Überarbeitung auf der Story-Ebene

Diese Überarbeitung bringt dich von der Rohfassung zum zweiten Draft – oder vielleicht auch zum dritten und vierten, je nachdem, wie oft du über die Zusammenhänge deiner Geschichte gehen willst oder musst.

Denn bei der Überarbeitung auf der Story-Ebene gehst du das große Ganze deiner Geschichte an, also die alles überspannenden Elemente wie den Hauptplot, die Subplots, die Character Arcs, die Konsistenz in deinem Worldbuilding, wenn du Fantasy oder Sci-Fi schreibst, wie dein Thema eingewebt und umgesetzt ist etc.

Es kann hier gut sein, dass du noch einmal ganz fundamental deine Figuren oder auch deinen gesamten Plot in Angriff nimmst. Stell dich deshalb darauf ein, dass du mit dieser Überarbeitungs-Ebene die meiste Zeit verbringen wirst. Es wird eine ganze Menge Arbeit auf dich zukommen – und dafür gebe ich dir heute ein paar Fragen an die Hand.

Schau dir auf der Story-Ebene Folgendes an:

Beginnt meine Geschichte an der richtigen Stelle?

Vermittle ich Informationen auf spannende Weise?

Hat meine Hauptfigur über die Geschichte hinweg klare Ziele und glaubhafte Beweggründe?

Hat die Geschichte bedeutsame Konflikte?

Verändert sich die Hauptfigur? Hat sie einen Character Arc?

Helfen die Subplots, die Hauptgeschichte voranzutreiben?

Ist das Worldbuilding ausgereift und logisch zusammenhängend aufgebaut?

Du siehst, es geht hier im Grunde nur darum, dass du dir bewusst machst, wo deine Geschichte inhaltlich noch nicht funktioniert, und dass du diese Probleme gezielt ausräumst. Wenn du dafür mehrere Drafts benötigst, ist das vollkommen in Ordnung – und auch vollkommen normal.

Lass mich dir noch drei Beispiele zeigen, die mir auf dieser Ebene im Lektorat häufig unterkommen:

Beispiel #1: Deine Geschichte startet nicht mit der richtigen Szene

Das heißt, die Geschichte startet entweder zu früh oder zu spät. Zu spät könnte der Fall sein, wenn dein Anfang voller Erklärungen, Backstory und Info-Dump ist. In diesem Fall müssen die LeserInnen sich ganz schön anstrengen, um herauszufinden, was genau passiert und warum.

Wenn du das Gefühl hast, dass es genau dabei an deinem Anfang hakt, streiche diese Erklärungen und versuche, die Informationen durch Kontext in die Handlung einzuweben. Starte also lieber etwas früher mit der Handlung – nicht erst zu dem Moment, an dem sich für deine Hauptfigur etwas gravierend ändern wird, sondern etwas früher an diesem Tag. Zeige sie deine Leser*innen in ihrem bis dahin gewohnten Alltag, damit für sie das auslösende Ereignis ein genauso einschneidender Vorfall wird, wie für deine Hauptfigur selbst.

Ein wenig habe ich das schon im Beitrag „3 Elemente, die jeder Szenenanfang braucht“ erklärt. Lies ihn dir gern noch einmal durch.

Beispiel #2: Es gibt keinen Konflikt – oder nicht genug bedeutsame Konflikte

Ein Hinweis darauf ist, dass deine Hauptfigur keine Wünsche oder Ziele hat, die sie erreichen will, oder dass sich ihr beim Erreichen dieser Ziele nichts und niemand in den Weg stellt. Ohne einen konkreten Wunsch und ohne Konflikte bei den Versuchen, diesen wahrzumachen, gibt es keine Möglichkeit für deine Hauptfigur, sich zu verändern. Und ohne diese Veränderung, ohne Character Arc, gibt es in der Regel keine Geschichte.

Ruf dir deshalb immer in Erinnerung, dass sich Menschen nicht verändern, wenn sie nicht herausgefordert oder in die Ecke gedrängt werden. Es sollte in deinen Geschichten also unbedingt eine Form eines Gegenspielers – eine*n Antagonist*in in Person oder eine antagonistische Kraft – geben, an der sich deine Hauptfigur messen kann und an der sie sich abarbeiten muss – und dadurch wachsen kann. Die Konflikte, die das heraufbeschwört, müssen (je nach Genre) nicht supergroß und superdramatisch sein, aber sie müssen deine Hauptfigur in die Richtung schubsen, sich zu verändern. Denn ohne Veränderung hast du in deiner Geschichte nur Plot oder nur ein paar Szenen, die passieren, aber nicht sinnvoll zusammenhängen.

Um dieses Problem zu lösen, macht dir klar, was es genau ist, das deine Hauptfigur sich wünscht oder welches Ziel sie erreichen will. Und nicht nur das, sondern mach dir auch ganz klar, WARUM sie sich das wünscht bzw. warum sie das erreichen will – und was ihr beim Erreichen im Weg steht.

Wenn du die Antwort auf diese drei Fragen schon kennst, ist deine Hauptfigur mit großer Wahrscheinlichkeit schon super durchdacht angelegt – aber du schaffst es vielleicht noch nicht, das auf die Seiten zu bringen. Nimm dir dann jede Szene einzeln vor und überleg dir, wie du ihre Wünsche oder Ziele und ihren Struggle, diese zu erreichen, jeweils in einem kleinen Step zeigen kannst.

#3: Das Problem, das du zu Beginn der Geschichte aufwirfst, wird nicht aufgelöst

Ein Indiz dafür ist, dass der Spannungsbogen am Ende der Geschichte nicht zu einem Climax aufsteigt, sondern eher flach abfällt. Oder dass die Geschichte nicht die emotionale Erlebnisreise bietet, die die Leser*innen sich wünschen.

Dieses Problem tritt auch auf, wenn du deine Inhalts-Genres nicht konsistent durchziehst. Als kleine Erinnerung – von den Inhalts-Genres hatte ich es schon mal kurz im allerersten Beitrag „Finde das Thema deiner Geschichte“ – du findest ihn hier.

Wenn deine Geschichte also zu Beginn einem anderen Genre folgt als aufs Ende zu; wenn du zum Beispiel damit einsteigt, dass sich zwei Personen begegnen, um die du eine Liebesgeschichte stricken willst, am Ende geht es in deiner Geschichte aber darum, ein Verbrechen aufzuklären und den Bösewicht zu überführen – dann hast du eine Diskrepanz zwischen der Frage, die zu Beginn der Geschichte aufgeworfen wird, und der Frage, die am Ende tatsächlich beantwortet wird.

Um dieses Problem zu lösen, schau dir den Anfang und das Ende deiner Geschichten genau an. Such nach der alles überspannenden Frage und analysiere den Character Arc deiner Hauptfigur. In den meisten Fällen, in denen der Spannungsbogen zum Ende hin abfällt, sind diese beiden Punkte nicht stark und gegensätzlich genug ausgearbeitet.

Stell also sicher, dass die alles überspannende Frage beantwortet wird und sie zum dominierenden Inhalts-Genre deiner Geschichte passt. Um beim Beispiel oben zu bleiben: Ist die Hauptfrage, ob die beiden Figuren am Ende zusammenkommen oder ob der Bösewicht dingfest gemacht wird? Diese Frage ist es, die du im Climax beantworten solltest.

Und dann stell sicher, dass der Character Arc, also die Veränderung, die deine Hauptfigur durchläuft, das Thema ausdrückt, das du für deine Geschichten definiert hast.

Wenn du dir bei diesem großen Blick auf das Ganze arg unsicher bist, wie und wo du bei der Überarbeitung ansetzen sollst, kannst du hier schon einen ersten Blick von außen einholen. Zu diesem Zeitpunkt empfehle ich dir noch kein Lektorat, aber du könntest ein Manuskriptgutachten oder, wenn du einen gut ausgearbeiteten Szenenplan hast, ein Plotgutachten beauftragen.

Ich empfehle dir, das bei jemandem zu machen, der auch Coaching-Erfahrung hat, denn eine solche Person kann dich, wenn du das möchtest, auch gezielt durch diese Überarbeitung führen. Ich lege es dir aber trotzdem nahe, es zuallererst einmal selbst zu versuchen.

Long Story short

Wenn du das Wort „Ende“ unter deine Rohfassung gesetzt hast, solltest du sie erst einmal eine Weile lang liegen lassen und dann in einem ersten Step nur durchlesen, ohne schon im Text auszubessern.

Mach dir dabei so viele Notizen, wie du möchtest, und ordne sie in einem nächsten Step nach Aufgaben von groß nach klein.

Die erste Überarbeitung am Text solltest du auf Story-Ebene durchführen, also die Zusammenhänge im großen Ganzen glatt ziehen, deine Figuren nachschärfen, den Konflikt klarer herausarbeiten, Subplots sinnvoller verweben etc.

Drei Fehler, die ich im Lektorat häufig sehe, sind a) dass die Geschichte nicht im richtigen Moment startet, b) dass es keine oder vor allem unbedeutende Konflikte gibt und c) dass das große Plot-Problem der Geschichte nicht beantwortet wird.

Wenn du dich an dieser Stelle überfordert fühlst und nicht weißt, wo du mit der Überarbeitung starten sollst, kannst du ein Manuskript- oder Plotgutachten beauftragen. Ich rate dir aber, es zuerst einmal selbst zu versuchen.

Wenn dir noch weitere Beispiele für die Überarbeitung auf Story-Ebene helfen würden und wenn du noch mehr über die weiteren Überarbeitungs-Ebenen lernen möchtest, ist vielleicht mein Workshop „How-to: Überarbeiten 🖋️“ etwas für dich. Schau ihn dir doch mal an!